Dörthe Eickelberg
Augen Unterschrift

Montag

Kanada kennt keine Kompromisse. Alles so groß, so frei, so wild!

Meine Mutter rief heute während der Fahrt aus, sie habe ihre erste wilde Büffelherde gesehen. In feierlicher Entschlossenheit seien sie über die weite Prärielandschaft galoppiert, gehüllt in eine bronzene Staubwolke, die Erde erzitternd im Stakkato der aufschlagenden Hufe. Eine Büffel habe sich zu majestätischer Höhe aufgebäumt und ihr direkt in die Augen geschaut. Mein Vater behauptet noch heute eisern, es wären ordinäre Milchkühe gewesen. Er glaube nichts, was er nicht mit eigenen Augen auf dem Sucher seiner Videokamera gesehen habe. Mit Sicherheit war er nur neidisch, in dem Moment vor dem Lenkrad seinen Sekundenschlaf gehalten zu haben. Und selbst wenn es denn nur Milchkühe gewesen sein sollen - dann waren es zumindest GROßE Milchkühe.

Später saßen wir am Seeufer eines Camping- Platzes und warteten auf den ersten Grizzly. Die Sonne schien schon seit zwei Tagen ununterbrochen, und die armen Kanadier waren so irritiert darüber, dass sie in Badebekleidung Löcher in die Eisdecke hauten, um ihre quengelnden Kinder zum Schwimmen zu schicken.

Dienstag

Habe heute den ersten echten Indianer gesehen, gleich zwei auf einmal. Sie standen an der Supermarktkasse und packten unsere Bierdosen in lauter bunte Plastiktüten. Ich wollte gerne Photos von ihnen machen, doch das war laut Schild verboten. Das Blitzlicht der Kameras könnte sie so irritieren, dass sie minutenlang wie paralisiert ins Licht starren, statt weiter Tüten einzupacken.

Mittwoch

Habe heute die ersten Deutschen in Kanada getroffen. Ich erkannte sie daran, dass sie, wenn ich sie morgens grüßte, nicht antworteten. Wahrscheinlich überlegten sie, in welcher Verbindung sie zu uns stünden, was uns jetzt zu dieser Distanzlosigkeit bewogen habe, und ob ein Zurückgrüßen in formeller Form nun angemessen oder übertrieben sympathieheischend sei. Wir Deutschen sind schwierig.

Die Kanadier hingegen! Gib' ihnen ein Stück Zelt, ein Lagerfeuer und dünnes Bier, und schon sind sie glücklich. Manchmal werfen wir ihnen aus unserem Wohnmobilfenster ein paar Brotkrumen zu, dann sind sie ganz aufgeregt.

Aber man muss vorsichtig sein. Gibt man ihnen zuviel davon, gewöhnen sie sich daran und verweichlichen total. Dann finden sie sich allein nicht mehr in der Wildnis zurecht.

Und das wäre doppelt doof, denn wir brauchen die Kanadier ja, damit sie uns durch die Wildnis führen. So auch am ...

... Donnerstag,

dem Walfang- Tag. Wir haben eine kleine Expedition gebucht: mit einem Schlepper auf's offene Meer, mit uns Willy, der Walfänger.

Gleich am ersten Tag fing mein Vater drei Orcas, einen Buckel- und einen Pottwal.

Meine Mutter schoss zwei westpazifische Grauwale und einen Delphin, letzteres aber aus Versehen, weil sie was verwechselt hatte.

Ich fing leider nur eine Makrele.

Willy war trotzdem stolz auf uns. Wenn wir so weitermachen, sagte er, haben wir bald den kompletten Wal- Bestand dezimiert. Kanada ist großartig. Diese Freiheit! Diese Großzügigkeit!

Freitag

Die Kanadier können ganz schön kleinlich sein. Am Flughafen sagten sie uns, wir könnten so nicht ausreisen: Es sei verboten, einfach so tote Wale zu exportieren. Und überhaupt habe unser Gepäck 120 Tonnen Übergewicht. Mein Vater war empört. "Ich dachte, wir wären hier im Nachbarland der unbegrenzten Möglichkeiten! Diese Bürokratie ist ja fast wie zuhause!" Die Kanadier. Das kommt davon, wenn man sie aus ihrem natürlichen Lebensraum in die Städte verbannt. In Flughäfen und Zollkontrollen, in einem artifiziellen, urbanen Umfeld, vergessen sie auf einmal all ihre natürlichen Wurzeln und werden so wie wir.

Den nächsten Urlaub verbringen wir in Papua Neuguinea. Mit einer Steinschleuder Bonobo- Affen jagen, zusammen mit Eingeborenen, die noch ganz unverdorben sind von westlicher Zivilisation. Diesmal wird alles vorab organisiert. "Survival" nennt sich dann das Paket, und der Reiseveranstalter heißt RTL.

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